Der Haken – Vom Gefühl zur Tatsache
Manager im Mittelstand sind nicht irrational. Sie fühlen präzise, wenn Komplexität beginnt, die Marge aufzufressen. Sie spüren die Reibung, die Latenz und die Verzettelung.
Das Problem ist nicht das Gefühl. Das Problem ist, dass „Gefühl“ keine Entscheidungsgrundlage in einer Vorstandssitzung ist. Es lässt sich nicht budgetieren, und es lässt sich nicht delegieren.
Die meisten Manager versuchen dann, dieses Gefühl mit den falschen Werkzeugen zu bekämpfen: Mehr Meetings, neue Software oder die Umstrukturierung von Abteilungen.
Das ist der falsche Ansatz. Komplexität ist nicht Ihr Feind. Intransparenz ist es.
Hören Sie auf, über das Gefühl zu diskutieren. Fangen Sie an zu messen. Hier ist das Handwerkszeug dafür – eine pragmatische Autopsie für Ihre Prozesse.
Das Playbook – Die 3 Schnitte der Komplexitäts-Autopsie
Dies ist keine monatelange Analyse. Es ist ein dreitägiger Diagnose-Sprint, den Sie selbst durchführen können, um unanfechtbare Fakten zu schaffen.
Schnitt 1: Die „Schatten-IT“ kartieren
Das Problem ist nicht Ihr offizieller Prozess. Das Problem sind die 25 Workarounds, die Ihre Mitarbeiter erfunden haben, um den offiziellen Prozess zu umgehen. Diese „Schatten-IT“ – Excel-Listen, private Freigabe-E-Mails, geteilte Kalender – ist der Nährboden für Fehler und Intransparenz.
Die Aktion (Tag 1):
Nehmen Sie einen einzelnen, kritischen Kernprozess (z.B. Angebotserstellung oder Auftragsabwicklung). Setzen Sie sich mit drei erfahrenen Mitarbeitern zusammen – getrennt voneinander.
Stellen Sie nur eine Frage: „Zeigen Sie mir exakt, wie Sie das machen. Jedes Tool, jede Excel-Liste, jede E-Mail-Vorlage.“
Visualisieren Sie anschließend nur die Abweichungen vom offiziellen SOLL-Prozess. Das Ergebnis ist Ihre „Schatten-Karte“. Sie zeigt, wo Ihr System in der Realität „blutet“.
Schnitt 2: Die „Entscheidungs-Latenz“ stoppen
Das Problem ist nicht die Dauer einer Entscheidung, sondern die Dauer zwischen den Entscheidungen. Latenz ist die Zeit, in der ein Prozess stillsteht, weil auf eine Freigabe, eine Information oder ein Meeting gewartet wird.
Die Aktion (Tag 2):
Öffnen Sie den Kalender und die Posteingänge. Nehmen Sie die letzte abteilungsübergreifende Entscheidung, die länger als eine Woche gedauert hat.
Messen Sie die Zeit (in Arbeitstagen) vom „Problem identifiziert“ (z.B. die erste E-Mail) bis „Entscheidung umgesetzt“ (z.B. das Protokoll oder die finale Anweisung).
Fragen Sie dann: „Welches Team, welches Projekt, welcher Kunde hat in dieser Zeit gewartet?“ Hängen Sie ein €-Schild an diese Tage (z.B. die Personalkosten des wartenden Teams). Das ist der Preis der Latenz.
Schnitt 3: Den „Experten-Fokus“ auditieren
Ihre teuersten Experten sind oft am unproduktivsten – nicht, weil sie langsam arbeiten, sondern weil das System sie zwingt, ihre Zeit mit Suchen und Warten zu verbringen.
Die Aktion (Tag 3):
Geben Sie einem Ihrer Top-Experten (z.B. ein Ingenieur, ein Senior-Entwickler) einen einfachen Notizzettel. Bitten Sie ihn, für einen einzigen Tag ein pragmatisches Timesheet zu führen.
Drei Spalten:
- Wertschöpfung: (Zeit, in der er die Kernarbeit macht, für die er bezahlt wird.)
- Suchen / Klären: (Zeit, die er aufwendet, um Informationen zu finden, Rückfragen zu stellen oder Systembrüche zu überwinden.)
- Warten / Sonstiges: (Zeit in Meetings, die ihn nicht betreffen; Warten auf Freigaben.)
Rechnen Sie am Ende des Tages die Zeiten zusammen. Multiplizieren Sie die Stunden aus Spalte 2 und 3 mit dem vollen Stundensatz dieses Experten. Das ist Ihr täglicher Preis für Ressourcen-Verzettelung.
Klarheit ist der erste Hebel
Diese drei Schnitte liefern Ihnen keine fertige Transformations-Strategie. Sie liefern etwas Wichtigeres: eine unanfechtbare, gemeinsame Faktenbasis.
Sie ersetzen „politisches Rauschen“, „kulturelle Schuldzuweisungen“ und „Bauchgefühl“ durch quantifizierbare Realität.
Das ist der erste und wichtigste Schritt zur funktionalen Klarheit. Erst wenn Sie den Schmerz präzise verorten und beziffern können, können Sie den Hebel zur Lösung ansetzen.


