Viele Marktführer glauben, Digitalisierung bestehe darin, den analogen Katalog einfach online abzubilden. Sie investieren Millionen in technische Lösungen und erwarten, dass der Erfolg linear wächst. Tatsächlich springen aber Nutzer ab, Umsätze stagnieren, und niemand versteht die Ursache. Diese Dissonanz entsteht, weil nur das Produkt digitalisiert wird, nicht aber die reale, unperfekte Welt des Anwenders. Die perfekt konzipierte digitale Maschine wird von der Realität gestoppt.
Der Ruf zur Allianz – (Der Job-to-be-Done)
Ein führender mittelständischer Anbieter aus dem B2B-Komponentengeschäft stand vor diesem Problem. Die komplexen Produkte waren jahrelang erfolgreich im Print, doch im neuen Online-Shop stockte der Verkauf. Die Zahlen stagnierten, und diese Entwicklung wurde für den Leiter Produktinformation zu einer stetig wachsenden Belastung. In den wöchentlichen Boardmeetings führte das zu spürbarer Dissonanz. Unter diesem Druck engagierte er mich. Sein Job-to-be-Done war klar: die Nadel im Heuhaufen finden, das eine präzise Problem, das den Erfolg verhinderte – das hatte er trotz intensiver Suche nie gefunden. Mein Ziel war es, diese Nadel zu finden und den Schmerz zu lösen. Ich habe die Nadel gefunden, Alternativen vorgestellt und das Problem gelöst. Doch die oberste Führungsebene war kulturell noch nicht bereit für diese einfache, direkte Lösung. Man war nicht vorbereitet darauf, dass jemand von außen in kurzer Zeit das Offensichtliche klar benennt und damit das Problem aus der Welt schafft. Diese kulturelle Blockade, parallel zur technischen Lösung, ist die Kernlektion dieser Geschichte.
Die Offene Werkstatt – Die Blaupause der Wahrheit
Wir zeichneten die tatsächliche User Journey detailgenau nach – auf einer einfachen visuellen Landkarte in Miro. 90 % der Nutzer brachen den Kaufprozess an derselben Stelle ab, kurz vor dem Ziel. Die Ursache: eine unsichtbare analoge Hürde. Der Nutzer musste eine technische Größe angeben, die er nicht wusste und erst analog nachmessen musste – ein Prozess, der den digitalen Ablauf sabotierte.
(Abbildung: Miro-Blueprint mit roter Linie am Abbruchpunkt)
Die systemische Lektion – Die gewonnene Weisheit.
Lektion: Die brillanteste digitale User Journey scheitert, wenn sie eine einzelne unsichtbare analoge Hürde ignoriert. Echte Nutzererfahrung beginnt im Kopf und in den Händen – nicht nur auf dem Bildschirm.
Das Ergebnis – Die ehrliche Konsequenz
Die klare Diagnose ermöglichte ein nutzerzentriertes Lösungskonzept: Auswahl nach Endgerät statt starren Maßen. Doch die Offenheit der Erkenntnisse stieß auf unerwarteten Widerstand. Das Projekt wurde politisch beendet – ein Beleg, dass technische Klarheit ohne kulturelles Einverständnis wirkungslos bleibt.
„Die Fähigkeit, komplexe Abläufe in eine einfache, klare visuelle Landkarte zu transformieren, erleichterte bei uns die interne Zusammenarbeit nachhaltig.“
Manche Hindernisse sind nicht zum Umgehen da, sondern zum Sehenlernen. Diese Lektion war eine davon. Sie zeigt, dass die schärfste Diagnose nur der erste Schritt ist. Der zweite, oft entscheidendere, liegt im Verstehen der unsichtbaren Kräfte, die bestimmen, ob eine Wahrheit angenommen oder abgelehnt wird. Wer tiefer verstehen möchte, wie diese verborgenen Dynamiken Systeme steuern, findet im Werkstatt-Essay „Die Dissonanz die jeder kennt“ eine verwandte Perspektive.
